Schon wieder macht der komische Typ da drüben das eine Fenster total dicht. Obwohl die Sonne noch scheint.
Ich gehe wieder an meine Arbeit. Nach fünf Minuten zwingt mich aber ein unwiderstehlicher Drang wieder ans Fenster. Ach, genau, das ist letzte Woche und vorletzte Woche auch schon passiert: der begrüßt total charmant eine Frau. Genauso wie die von letzter und auch die von vorletzter Woche. Ständig tauchen neue Frauen bei ihm auf. Und die alten sieht man nie wieder. Was macht der denn da?
Ich drehe langsame Runden um meinen Schreibtisch. So kann ich besser nachdenken. Und das muss ich jetzt. So ein netter Kerl, so höflich, charmant, klug und auch noch gut aussehend, dachte ich, als er vor zwei Monaten einzog. Ist bei Siemens, erfuhr ich später von der alles wissenden Hausmeisterin.
Mehr konnte sie allerdings nicht rauskriegen. Trotz allen Bemühens war die neugierigste aller Hausmeisterinnen bei ihm total erfolglos. Aalglatt sei er, wie ein Fisch. Egal, wie geschickt sie ihre Fragen auch formuliere.
Ich starre noch mal auf die blickdichten Vorhänge gegenüber. Was der da macht, darf kein Tageslicht sehen. Offenbar auch kein Kunstlicht. Doch zwei kleine, ganz helle, fast weiße Lichter. Was ist denn das?
Grausige Plots einiger Krimis jagen mir durch den Kopf. Frauenmörder lebt unerkannt in biederer Vorstadtsiedlung. Keiner hat etwas bemerkt.
Auch wenn ich nicht ständig am Fenster lauere, müsste ich doch eine Frau mal rauskommen sehen! Mein Herz rast. Das darf doch nicht wahr sein! Hier bei uns, gegenüber, ein aktiver Serienkiller? Kapiert das eigentlich keiner? Macht sich keiner Gedanken?
Der Mann ist eiskalt. Sein Charme typisch für emotionslose Psychopathen. Nur über mordsmäßige Reize kann der irgendwas wahrnehmen. Der braucht es, andere zu quälen, zu töten. Was mache ich denn jetzt?
Die Hausmeisterin ist natürlich nicht da. Die quatscht wieder irgendwo rum. Ich renne zur Nachbarin. Auch nicht da. Unten sind auch alle ausgeflogen. Polizei? Was soll ich denn sagen? Mein Nachbar hat Damenbesuch?!? Auf der Straße versuche ich, unauffällig das Haus im Auge zu behalten. Plötzlich geht die Tür auf. Mein Lebensgefährte und der Psychopath kommen über die Straße zu mir rüber. Ich muss ziemlich dämlich mit offenem Mund dastehen. „Uwe braucht Tipps, wie man säumige Zahler in die Puschen kriegt“.
Der Psychopath ist Fotograf. Bei Siemens. Werbeabteilung. Selbstständig. Und die Frauen? Fotomappen-Aufträge. Models. Zahlen schlecht.
Komisch, wie schnell mein LG mit dem Freundschaft geschlossen hat!?!