Seit Stunden trampelt das Kleinkind über mir auf meinen Nerven herum, verjagt mir sämtliche geniale Ideen für den neuen Podcast. Aber ich bin ganz ruhig.
Der Schreibtisch erzittert, ein Bleistift ist nicht mehr zu halten, er kullert, reißt einen zweiten und noch einen Kuli mit. Gemeinsam rollen sie und rollen. Bis runter auf mein Laminat. Armer Nachbar unter mir!
Nein, ich bin jetzt ganz ruhig.
Der Bobbycar von oben kratzt, scheppert und rammt sämtliche sinnlos herumstehende Möbel. Kein Problem. Ich bin ja ganz ruhig. Und überhaupt nicht wütend. Fest rein in die Gehörgänge mit dem Ohropax und es ist Ruhe. Meine Gedanken kreisen um Kinder. Dabei wollte ich keine Geschichte über Kinder schreiben.
Oder sollte ich doch? Kleine Kinder sind nett und niedlich. Und oft sooooo lebhaft.
Na, Gott sei Dank! Lebhaftigkeit signalisiert Interesse. Interesse bedeutet Neugier. Und Neugier ruft Tatendrang hervor. Nach vollendeter Tat schnappen die Gehirnsynapsen ein und verbinden sich. Das neu Erlernte wird gespeichert. Ein Schritt von immenser Wichtigkeit. Für Kinder.
Geht das vielleicht auch leiser?
Nein? Gut, ich bin ganz ruhig. Weil ich eine Erkenntnis habe. Plötzlich. Eine regelrechte Erleuchtung.
Das Synapsen-Schnappen bei Kindern sollte niemand verhindern. Auch ich nicht. Das wäre sträflich. Kinder sind Zukunft. Kinder könnten später meine Rente bezahlen, meine Gesundheit, meine Pflege. Wenn , ja wenn wir genug kleine Synapsen-Schnapper hätten!!
Der Abbau der Sozialversicherungssysteme entfiele.
Ich sehe zur Decke, wo die Lampe schwingt. Synapsen schnappen wieder, der Hüpf-Takt ist gespeichert. Ich freue mich mit dem Kleinen. Schließlich soll er später meine Rente zahlen, meine Gesundheit und Pflege!
Anschließend probiert er das Möbel-Zerlegen aus. Soll er doch, wenn er später meine Rente zahlt!
Ich träume davon, wie massenhaft Versicherungswirtschafts-Lobbyisten ihre Büros in Berlin räumen. Sie sind überflüssig. Denn die Regierung hat eine Vollbremsung hingelegt. Bei ihrem Kurs auf die Total-Privat-Gesellschaft. Deutschland setzt wieder auf das solidarische, soziale Umlagesystem. Denn es gibt genug Kinder. Endlich.
Ich hole tief Luft. Das muss ich unterstützen. Ein einziges, einsames Kind ist zu wenig. Das Glas in meiner Vitrine scheppert. Hach, was soll’s, sind eh nur alte Gläser.
Mich jagt es nach oben. Ich muss mit der Mutter sprechen. Sie ist jung genug. Da ist noch alles drin. Vor allem mehr Kinder.
Sie öffnet. Mit beiden Händen mit dem Smartphone beschäftigt, schiebt sie mit dem Fuß die Tür auf und hebt nur kurz den Kopf. Der Kleine kommt angerannt. Hofft er auf jemanden, der ihn wahrnimmt? Mutters Aufmerksamkeit ist auf das Smartphone beschränkt. Keine Zeit für ihn, den Kleinen. Sie schiebt ihn zurück in die Wohnung, auch mit dem Fuß. Er quängelt, strampelt, schreit, heult und schmeißt sich auf den Boden. Sie schreit und schimpft und fummelt weiter an dem Smartphone. Das Kind zerlegt hörbar den nächsten Stuhl. Sie brüllt.
Ich breche mein Vorhaben ab und denke darüber nach, dem Kleinen ein Smartphone zu schenken. Dann kann er mit der Mutter telefonieren.